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Aus dem Stadtarchiv - Serie für Historisches und mehr

100 Jahre Stadt Neunkirchen – der Weg zur Stadtwerdung

Am 23. Dezember 1921, einem Freitag, überbrachte der Präsident der Regierungskommission, Victor Rault, auf einer festlichen Feier in der Aula des Neunkircher Realgymnasiums vor geladenen Gästen die frohe Kunde der Vereinigung der Gemeinden Wellesweiler, Niederneunkirchen und Kohlhof mit derjenigen von Neunkirchen und die Verleihung der Stadtrechte an diese neue Großgemeinde. Gleichzeitig konnte Rault das Ausscheiden der bisher amtsangehörigen Gemeinden Spiesen und Elversberg und deren Vereinigung zu einer eigenen Bürgermeisterei verkünden.

Mit diesem vorgezogenen Weihnachtsgeschenk endete ein langer, steiniger Weg für die Bevölkerung des bis dahin nach der Landgemeindeordnung für die Rheinprovinz verwalteten Ortes. Ein erster Vorstoß, für die 1875 etwas mehr als 11.000 Einwohner zählende Gemeinde Neunkirchen die rheinische Städteordnung zu erhalten, datiert von November 1876. Ein Bürgerkomitee, das wahrscheinlich von der Stadtrechteverleihung an die vereinte Gemeinde Malstatt-Burbach im Jahr 1874 inspiriert worden war, richtete eine von 438 Personen unterschriebene Eingabe an den Neunkircher Gemeinderat, der die nötigen Schritte zur Verleihung der Städteordnung einleiten sollte.

Große Gegner dieser Absichten waren der Hüttenbesitzer Karl Ferdinand Stumm und die Bergverwaltung. Stumm griff sogar im Dezember 1876 persönlich mit einem „die Sache in erläuterndem Vortrage“ und in Stellungnahmen in der Presse in die Diskussionen ein. Der Gemeinderat beriet über die Frage und bildete zunächst eine Sondierungskommission zur Prüfung der Sache. Zwei Monate später wurde ein weiterer Ausschuss des Gemeindeparlamentes gebildet, dem nun auch Stumm selbst angehörte. Dieses Gremium empfahl, da die eingesetzte Städtekommission wichtige Fragen, wie z. B. die Auswirkungen einer möglichen Abtrennung des Neunkircher Ortsteils Heinitz und Dechen, noch nicht hinreichend hatte klären können, eine Vertagung der Verhandlungen bis zum Herbst 1877. Danach hörte man von dem Projekt für fast ein Vierteljahrhundert nichts mehr. Zu Lebzeiten Stumms wurden keine weiteren Anstrengungen unternommen.

Erst nach dessen Ableben lassen sich wieder Initiativen nachweisen. Ein erster halbherziger Versuch wurde Anfang August 1901 gestartet, als auf einer Bürgerversammlung neben anderen kommunalen Themen auch die Stadtfrage erörtert wurde. Ende 1904 war es der Vorstand des Neunkircher Verschönerungs-Vereins auf Anstoß des örtlichen Wirte-Vereins, der in einer Vorstandssitzung ausführlich die Thematik diskutierte und eine besondere Kommission zur „Weiterbearbeitung der Stadtfrage“ bildete. Der Rat der nunmehr fast 32.500 Einwohner zählenden Gemeinde konnte sich lediglich dazu durchringen, Aufklärungsmaterial bereitzustellen, nicht aber selbst aktiv zu werden. Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gab es bereits Ideen, einzelne Orte des Neunkircher Bürgermeistereiverbandes mit Neunkirchen zu vereinigen.

Seinerzeit war der Neunkircher Bürgermeister Hermann Ludwig noch „Stadtgegner“ aus rein „sachlichen Gründen“. Zur Änderung seines Standpunktes dürfte aber v. a. eine Auseinandersetzung mit dem Bierverleger Philipp Eisenbeis geführt haben. Dieser beanspruchte Mitte 1909, aufgrund seiner Gebäudesteuerzahlungen, als geborenes Gemeinderatsmitglied anerkannt zu werden. Nachdem der Gemeinderat ihm diesen Anspruch nicht gewähren wollte, führte Eisenbeis eine über mehrere Instanzen gehende Verwaltungsklage, in welcher ihm schließlich 1911 das Recht zugestanden wurde. Durch dieses Urteil wurde jedoch nicht nur Eisenbeis in den Neunkircher Gemeinderat aufgenommen, sondern zahlreiche weitere Personen hatten nun ein Anrecht an den Sitzungen aktiv teilzunehmen. Die Gemeindevertretung umfasste daraufhin zwischen 60 und 70 Personen, von denen nur 30 nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählte Mitglieder waren. Die häufige mangelnde Beschlussfähigkeit des Gremiums war Ludwig schnell ein Dorn im Auge und ein Missstand, den er gerne beseitigt gesehen hätte. Mittel zum Zweck zur Entmachtung der Meistbegüterten war hier die Städteordnung, die keine geborenen Mitglieder in den Räten kannte. Außerdem wurden Ludwig persönliche Interessen nachgesagt, nämlich Stadtbürgermeister werden zu wollen.

Schon im Juni 1910 fasste der Gemeinderat von Neunkirchen den Beschluss, die „Einleitung der Verhandlungen betreffend die Verleihung der Stadtrechte an Neunkirchen“ wieder aufzunehmen. Zur Ausarbeitung und Vorbereitung der Sache wurde eine Kommission ins Leben gerufen. In der Folge wurde eine ausführliche Denkschrift ausgearbeitet, die vornehmlich aus der Feder des Studienprofessors Oskar Kretzschmar stammte, und detailliert begründete, weshalb Neunkirchen berechtigt war, in den Rang der Städte aufgenommen zu werden. Ende des Jahres reichte die Verwaltung den Antrag an den Ottweiler Landrat weiter, der sie wiederum an seine vorgesetzte Behörde, die Trierer Bezirksregierung, weiterleiten sollte.

Nachdem über ein halbes Jahr wenig geschehen war und seitens höherer Verwaltungsstellen möglicherweise eine Verzögerungstaktik gefahren wurde, erneuerte der Gemeinderat unter expliziter Betonung der Aufrechterhaltung seiner Petition im Oktober 1911 seinen Wunsch. Auch dieses Mal passierte nichts, das Gesuch von der Blies erreichte die Spree nicht. Auf einer Berlin-Reise anlässlich einer Vorsprache im Kriegsministerium wegen Einrichtung einer Garnison in Neunkirchen stattete die Neunkircher Delegation um Bürgermeister Ludwig auch dem Innenministerium einen Besuch ab, wo die Eingabe nicht aufgefunden werden konnte. Daraufhin erneuerte der Gemeinderat abermals seine Forderung. Nachdem die Aufsichtsbehörden Stellungnahmen abgegeben hatten, entschied am 22. Mai 1912 der preußische Minister des Innern schließlich gegen Neunkirchens Antrag mit der lapidaren Antwort, „daß das vorgelegte Material zurzeit noch keinen ausreichenden Anlaß“ dazu bieten würde. Angeboten wurde lediglich die Option, in zwei bis drei Jahren noch einmal einen Vorstoß zu wagen. Zu einem solchen kam es nicht, auch wenn vereinzelt das Thema gestreift wurde und die Städtekommission des Gemeinderates fortbestand.

Der Neunkircher Vorstoß 1910/1912 scheiterte zum einen daran, dass der Landrat, obwohl dem Ansinnen unter gewissen Voraussetzungen „wohlwollend“ gegenüberstehend, Sorge um die Existenz seines Kreises Ottweiler hatte. Karl von Halfern befürchtete, dass die Stadt Neunkirchen recht bald durch Eingemeindungen umliegender Orte die magische Schwelle von 40.000 Einwohnern überschreiten würde und somit berechtigt gewesen wäre, einen eigenen Stadtkreis zu bilden. Dieser hätte nicht mehr der kommunalen Aufsicht des Landrates unterstanden. Zum anderen waren der Einfluss von Hütte und Bergfiskus weiterhin derart groß, dass von der Verleihung der Städteordnung Abstand genommen wurde. Eine Eingemeindung Niederneunkirchens lehnte das Eisenwerk aus steuerlichen Gründen ab. Die Bergbauverwaltung war zwar nicht prinzipiell gegen die Stadtwerdung, setzte aber eine hohe Hürde. Sie verknüpfte ihre Zustimmung, wie bereits 1876, mit einem Ausscheiden von Heinitz und Dechen aus der Stadt, was für Neunkirchen jedoch aus steuerlichen Gründen außer Frage stand. Beide Institutionen befürchteten ferner, „in einer Stadtverordneten-Versammlung voraussichtlich jeden Einfluß“ zu verlieren, „während sie jetzt in der Gemeindevertretung doch recht bedeutenden Einfluß“ hatten.

Nach dem Ersten Weltkrieg kamen im Zuge von Planungen zur Neugliederung der Verwaltung in der zweiten Jahreshälfte 1919 Stimmen auf, die v. a. eine Bildung eines Landkreises Neunkirchen forderten. Nachdem im Mai 1919 die Bedingungen des Versailler Friedensvertrages in der Presse öffentlich bekannt und die Grenzziehung für den zukünftig unter Völkerbundmandat stehenden Saarstaat diskutiert wurden, gab es offensichtlich französischerseits Pläne zum Aufbau einer neuen Verwaltungsgliederung, die kleinen Gebilden wie dem Kreis St. Wendel oder dem Bezirksamt Homburg an den Kragen gehen wollten.

Auch in Neunkirchen gab es Befürworter, die gerne den Sitz eines der neuen Kreise in der Gemeinde an der Blies gesehen hätten. Am französischen Nationalfeiertag 1919 wurde schließlich ein Antrag auf Erlangung eines Kreissitzes eingereicht. Die Planspiele sahen die Einbindung weiter Teile des alten Kreises Ottweiler vor, dessen Reste man mit St. Wendel vereinen wollte. Die Stadtfrage sollte zunächst ausgespart bleiben, da diese einen eigenen Stadtkreis hätte bedingen können, was wiederum die Option zum Ausscheiden aus dem Landkreis geboten hätte. Laut französischer Besatzung standen die Chancen zur Bildung eines Kreises Neunkirchen in jener Zeit gut, allerdings drückte sie bei der Umsetzung nicht aufs Tempo. Die Bildung eines Kreises Neunkirchen wurde v. a. in der Presse in der zweiten Jahreshälfte 1919 weiter diskutiert, zu einem Ergebnis führten die Debatten jedoch nicht. Ganz außen vor blieb die Stadtwerdungsfrage trotzdem nicht. Der Gemeinderat bildete zumindest Mitte August 1919 eine (neue) „Stadtwerdungskommission“.

Nachdem am 10. Januar 1920 der Versailler Friedensvertrag in Kraft getreten war und unmittelbar nachdem die Regierungskommission die Geschäfte im Saargebiet Ende Februar 1920 übernommen hatte, lag die Sache bei einer Besprechung der Neunkircher Beigeordneten auf dem Tisch und Bürgermeister Ludwig forderte, in der Frage wieder aktiv zu werden. Entsprechende Schritte sollten nunmehr mit den Vertretern der neuen Regierung in die Wege geleitet werden. Forciert wurden die Neunkircher Bestrebungen durch die Ende April 1920 abermals aufkommenden Forderungen der amtszugehörigen Gemeinden Spiesen und Elversberg auf Bildung einer eigenen Bürgermeisterei. Auf seiner letzten Sitzung beschloss der alte preußische Gemeinderat am 30. Juli 1920 die Verhandlungen zur Stadtwerdung umgehend wieder aufzunehmen und die Gemeinden Wellesweiler, Kohlhof und Niederneunkirchen wegen Eingliederung in die künftige Stadt zu befragen. Der Startschuss war gegeben, eine weitere Denkschrift in Vorbereitung. Auch die neue nunmehr erstmals Mitte Juli 1920 demokratisch gewählte Vertretung blieb an der Sache dran. Schon Mitte August erging der Beschluss, einen entsprechenden Antrag bei der Regierungskommission einzureichen.

In Fragen der Eingemeindung mussten zunächst in Volksversammlungen die Bürger der in Frage kommenden Orte gehört werden. Daher wurden auf Anordnung der Regierungskommission in den einzelnen Ortschaften des Bürgermeistereibezirks zunächst im September und Oktober 1920 solche Veranstaltungen durchgeführt, auf denen sich die jeweiligen anwesenden Bewohner in der Mehrheit für Eingemeindungsverhandlungen mit Neunkirchen aussprachen. Unmittelbar darauf wurden in den entsprechenden Vertretungen Beschlüsse zur Aufnahme der Verhandlungen gefasst. Daraufhin schritt man zur Ausarbeitung des Vereinigungsvertrages und rang um die Bedingungen, unter welchen die Eingemeindungen erfolgen sollten. Jede Gemeinde stellte Forderungen nach Sonderrechten, die sie bei einer Eingemeindung erfüllt wissen wollte. Nach teilweise zähen Verhandlungen stimmten die Gemeinderäte der Außenbezirke (in Wellesweiler bei einer Gegenstimme) am 15., 16. und 17. Dezember 1921 dem Eingemeindungsvertrag zu. Der Neunkircher Gemeinderat billigte am 16. Dezember 1921 einstimmig ebenfalls das Abkommen. Zu den festgeschriebenen Sonderrechten zählte z. B., dass den eingemeindeten Orten die gleichen Konditionen beim Bezug von Strom wie den Neunkircher Bürger:innen gewährt werden sollte. Kanal- und Wegebauarbeiten wurden festgeschrieben. Wellesweiler sicherte sich bspw. den Bau eines neuen Schulgebäudes. Für Kohlhof wurde, sofern die entsprechenden finanziellen Mittel vorhanden waren, der Bau einer Straßenbahnlinie Scheib-Kohlhof vertraglich fixiert. Steuerliche Vorteile wurden gesucht. In Niederneunkirchen ließ man sich etwa garantieren, dass die Stadtgemeinde „alle diejenigen Gemeindeleistungen, die bisher durch die Firma Gebr. Stumm freiwillig an Niederneunkirchen erfolgt“ waren, übernehmen sollten.
 
Das Vertragswerk wurde am 18. Dezember 1921 vom Bürgermeister, den Beigeordneten und den Gemeindevorstehern unterzeichnet und sollte gemäß § 9 zum 1. April 1922 in Wirksamkeit treten.

Am 19. Dezember 1921 genehmigte der Neunkircher Gemeinderat die Anbringung einer eisernen Gedenktafel an dem Ort, wo der Akt der Verleihung vollzogen werden sollte. Die bronzene Tafel wurde im September 1922 in der Aula des Realgymnasiums montiert. Sie trug folgenden Text:

„In diesem Saale hat der Präsident der vom Völkerbund zur Verwaltung des Saargebiets eingesetzten Regierungskommission Victor Rault am 23. Dez. 1921 die Verleihung der Städteordnung an Neunkirchen verkündet.“


Rechter Inhaltsbereich

Antrag


Erlass


Eingemeindungsvertrag


Einladung